Geschichte jüdischen Lebens in Schwaan

Die Bemühungen des Schwaaner Kulturfördervereins um die Erkundung der Geschichte jüdischen Lebens in Schwaan reichen bis 2001 zurück und sind seitdem in unterschiedlichen Aktionen und Formaten in die Öffentlichkeit getragen worden. Eine Basis und vielfältige Anregung lieferten zunächst die verdienstvollen Forschungsarbeiten des Schwaaner Fritz Luckmann. Aus Kontakten zu Historikern und Einrichtungen zur Erforschung jüdisch – deutscher Geschichte und Kultur in Mecklenburg-Vorpommern und darüber hinaus entwickelten sich fruchtbare Kooperationen. Durch eigene Recherchen in Archiven konnte das Wissen um diesen spezifischen Aspekt der Stadtgeschichte im Kontext der Regionalgeschichte weiter erhellt werden.

2005

Im Jahr 2005 stellte der Historiker Frank Schröder, damaliger Leiter des Max-Samuel-Haus Rostock, auf Einladung des Kulturfördervereins in einem Vortrag „Ein Kapitel Jüdische Geschichte in Mecklenburg: Schwaan“ vor.

2006

2006 wurde Albrecht Josephy-Hablützel (Jg. 1926, Schweiz), Nachfahre der seit Anfang des 18. Jahrhunderts in Schwaan ansässigen jüdischen Kaufmannsfamilie Joephy, zu einem Zeitzeugengespräch in die Schwaaner Prof.-Franz-Bunke-Schule eingeladen.

2013

Der Historiker Frank Schröder, damals wissenschaftlicher Projektleiter des Max-Samuel-Haus Rostock. Stiftung Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur Rostock, besichtigt den historischen Jüdischen Friedhof in Schwaan.

Jüdischer Friedhof Schwaan

Das heute im Stadtbild von Schwaan einzig erkennbare materielle Zeugnis jüdischer Siedlung ist der historische Jüdische Friedhof in der Lindenbruchstraße. Nach einem Schreiben von Bürgermeister und Rat der Stadt Schwaan an den Herzog in Schwerin von 1765 wurde er 1764 angelegt.

Grabinschrift


Hier ist begraben
der Meister, Herr Jehuda Löb,
Sohn des Meisters, Herrn Awraham,
seine Seele ging aus am Tag
des heiligen Schabbat, 23. Sivan
608 der kleinen Zählung.
Seine Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens
Gestorben am Samstag, 24. Juni 1848

deutsche Übersetzung: Dr. Katharina Ho

2014

2014 organisierte der Verein im Kunstmuseum Schwaan eine vielbeachtete Gesprächsrunde mit Sachverständigen zum Themenkomplex jüdisch-deutsche Kulturgeschichte in der Stadt und der Region. Der Einladung war auch der charismatische damalige Landesrabbiner Dr. William Wolff gefolgt. Von hier gingen Anregungen zur inhaltlichen Weiterführung des Projekts aus.

2015

In enger Zusammenarbeit mit der Stadt Schwaan, dem Landesverband Jüdischer Gemeinden Mecklenburg-Vorpommern, der Unteren Denkmalschutzbehörde des Landkreises Rostock und dem Max-Samuel-Haus. Stiftung Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur Rostock hat der Kulturförderverein dafür gewirkt, dass der jüdische Friedhof als Denkort im Stadtbild erkennbarer wird.

Am 27. September 2015 wurde eine Gedenktafel eingeweiht. Der neue Landesrabbiner Yurij Kadnykov hielt eine Ansprache und sprach ein Gebet. Anschließend hielt er in der Winterkirche der St.-Pauls-Gemeinde Schwaan einen Vortrag zur

Der Pflege eines traditionellen jüdischen Gemeindelebens diente ein zur Synagoge geweihtes Wohnhaus in der Hinterstraße, heute Warnowstraße 7. Auch von einer Mikwe, dem rituellen Tauchbad, berichtet die Überlieferung. Vom Leben und der Tätigkeit für das Gemeinwesen früher in der Stadt lebender jüdischer Kaufleute zeugen noch heute einige, z.T. baulich veränderte, Wohn- und Geschäftshäuser.

Die Geschicke der bis zu ihrer Auflösung im März 1915 nicht unbedeutenden Jüdischen Gemeinde wurde durch das Projekt stärker in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Die noch zugänglichen (schriftlichen) Überlieferungen in Archiven sind repräsentativ für allgemeine Lebensmuster und Konflikterfahrungen der Juden in der mehrheitlich christlichen Gesellschaft der Vergangenheit. Das erscheint uns erzählenswert und wurde auf unterschiedliche Weise öffentlich gemacht.

2016

Vom 02.-09.11.2016 präsentierte der Verein die Ausstellung „Von Moses Abraham bis Willi Marcus. Zur Geschichte jüdischen Lebens in Schwaan vom 18. bis zum 20. Jahrhundert“.

Die Ausstellung stellte mithilfe historischer schriftlicher Zeugnisse aus Archiven vom 18. bis zum 20. Jahrhundert stadtgeschichtliche Ereignisse in den Kontext jüdisch-deutscher Siedlung in Mecklenburg

vor und machte auf repräsentative Geschichte(n) der einstmals bedeutenden Jüdischen Gemeinde Schwaan aufmerksam. Zeugnisse zu Lebensgeschichten einzelner jüdischer Personen aus der Stadt und deren Repräsentanz für jüdisch-deutsche Geschichte in Mecklenburg wurden auf 10 Tafeln dargestellt.

Diese Ausstellung war für den Verein mediales Neuland. Die Vorbereitung begann im Dezember 2015. Dankenswerter Weise wurde sie gefördert durch die Stiftung für Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement in Mecklenburg- Vorpommern, die Katharina und Gerhard Hoffmann Stiftung Hamburg, die Stadt Schwaan und die OstseeSparkasse Rostock. Das Studium der zumeist handschriftlichen Quellen, die thematische Systematisierung und Auswahl nach Gesichtspunkten der Repräsentanz geschichtlicher Entwicklungen und möglichst anschaulicher Präsentation waren zeitaufwendig und dauerten bis Sommer 2016.

Der dargestellte geschichtliche Bogen reicht von Moses Abraham, 1749 erster Schutzjude von Schwaan, bis zu Willi Marcus, dem letzten Vorstand der Jüdischen Gemeinde bis zu deren Auflösung 1915. Willi Marcus wird 1942 in Auschwitz ermordet.

Das Stadtarchiv der Hansestadt Rostock, das Landeshauptarchiv Schwerin, die Universitätsbibliothek Rostock, Sondersammlungen Judaika/Hebraica, das Max-Samuel-Haus. Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur in Rostock gewährten Recherchen und die Publizierung von Archivalien.

Freundliche Unterstützung erfuhren wir durch Stadthistoriker Fritz Luckmann und Albrecht Josephy-Hablützel, Nachfahre der Schwaaner Familie Josephy, und seiner Frau Susann aus Riehen/Schweiz.

Der damals 90jährige (!) Albrecht Josephy- Hablützel machte die Eröffnung der Ausstellung mit seinem anschaulichen Bericht zur Geschichte seiner Familie für die zahlreich erschienenen Besucher zu einem besonderen Ereignis.

Reproduktionen von Gemälden von Franz Bunke (ca.1916), Lisa Jürß (2013) und Anngret Goebeler (2014) 21. vermittelten einen Eindruck von der Darstellung des Jüdischen Friedhofs Schwaan in der Malerei.

In zwei Vitrinen wurden als Leihgaben des Max-Samuel-Haus Rostock Reliogiosa gezeigt, um den Besuchern eine Vorstellung zu geben, welche Kultgegenstände die Schwaaner Jüdische Gemeinde besaß. Historische Stadtpläne von Schwaan 1771 und 1836 luden die Besucher zur Wiederentdeckung der Topographie ihrer Stadt ein. Buchpublikationen, Broschüren und Zeitungsartikel zum Thema lieferten weiterführende Informationen. Eine Hörstation lud die Besucher zu John Brinckmans Novelle: Mottche Spinkus un de Pelz ein. Brinckman zeichnet ein humorvolles Sittengemälde der Güstrower Jüdischen Gemeinde Mitte des 19. Jahrhunderts. Die geniale Einlesung bei Hinstorff stammt vom bekannten Rostocker Liedermacher, Sänger und Interpreten niederdeutscher Literatur Wolfgang Rieck. In einer Lesung während der Ausstellung erfreute Rieck die zahlreich erschienenen Gäste.

Die Kooperation mit der Prof.-Franz- Bunke- Schule Schwaan soll besonders erwähnt werden. 51 Schüler der 9. und 10. Klassen erlebten durch das Engagement ihrer Lehrer Kerstin Ahrens und Hans- Ulrich Pabusch in der Ausstellung Geschichtsstunden „vor Ort“. Die Schüler erhielten Arbeitsaufgaben zu einzelnen Themenkreisen der Ausstellung und trugen ihren Mitschülern das Ergebnis vor bzw. wurde der Ausstellungsbesuch im Unterricht nachbereitet. Die Arbeit mit Jugendlichen insbesondere zum Thema Anderssein (hier Jüdischsein)/ Fremdsein/ Integration/ Ausgrenzung und Vernichtung im Spiegel der Landes- und Stadtgeschichte war und bleibt dem Verein mit diesem und folgenden Projekten ein besonderes Anliegen. Carmen Molina Espejo und Tony Zhai, Studenten der Hochschule für Musik und Theater Rostock, beeindruckten bei der Eröffnung der Ausstellung mit künstlerischer Professionalität.

Die erfreuliche Resonanz bei den nahezu 300 Besuchern sowie der regionalen Presse betrifft sowohl den geschichtlichen Gegenstand als auch seine Präsentation.

Der wissenschaftliche Anspruch, der Umfang und die Darstellung der schriftlichen historischen Zeugnisse und die bildliche Veranschaulichung dieses Teils der Stadtgeschichte fanden Anklang.

2017

Das Max-Samuel-Haus. Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur Rostock, übernahm die Ausstellung vom 19.- 30.März 2017 in sein Veranstaltungsprogramm. Damit konnte der Wirkungskreis der Schau erweitert werden.

Plakat der Ausstellung im Max-Samuel-Haus in Rostock
Plakat der Ausstellung im Max-Samuel-Haus in Rostock

Zur Eröffnung berichtete Hans Ludwig Levy (Jg. 1929), Verwandter der Schwaaner Familie Marcus, aus seinen Kindheits- Erinnerungen.

Im Begleitproramm zur Ausstellung fanden Vorträge statt: Dr. Bernd Kasten, Direktor Stadtarchiv Schwerin, sprach über „Schutzjuden – Bürger – Geächtete. Zur Geschichte der Juden in Mecklenburg von 1266 bis 1945“. Dr. Katharina Hoba, Berlin referierte über „Aspekte jüdisch-deutscher Geschichte. Besonderheiten der Begräbniskultur und des Totengedenkens der Juden am Beispiel des jüdischen Friedhofs Schwaan“.

Die Verschriftlichung des Ausstellungsmaterials in einem Katalog zur Ausstellung wurde häufig nachgefragt und angeraten. Der Verein bemühte sich um Fördermöglichkeiten für eine solche Publikation. Dieser nächste Schritt konnte 2017 durch Fördermittel der „Stiftung für Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement in Mecklenburg- Vorpommern“, der „Katharina und Gerhard Hoffmann Stiftung Hamburg“, der Stadt Schwaan und der Ostsee Sparkasse Rostock erfolgen.

2019/ 2020

2019 und 2020 wurde die Geschichte der Juden in Schwaan durch ein Schulprojekt aufgegriffen und weitere Stolpersteine auf dem Schwaaner Pferdemarkt verlegt. Näheres dazu ist hier nachzulesen.

Stolpersteine Schwaan
Stolpersteine Schwaan

2020

Seit 2020 gibt es die 2., erweiterte Auflage der Broschüre die kann über den Schwaaner Kulturförderverein e. V. bezogen werden.